Leseproben

Heute werde ich
Heute werde ich ein nasser Baum,
morgen ein Telefonmast,
übermorgen eine Mohnblüte.
Dann werde ich
eine Scharte im Beil.
Was alles ich noch werden kann?
Seid nicht ungeduldig!
Alles kommt noch an die Reihe.
Mein Warteraum ist groß.
Was kann ich dafür,
wenn mir euer Name nicht einfällt.
Das Geschäft blüht trotzdem.
Soeben ordne ich den Ameisenhaufen zu einem Gedicht.


Ich soll gehorchen
Und sie sagen:
ich soll gehorchen.
Wenn ich es auf die Linke bekomme,
soll ich noch die Rechte hinhalten.
So ists wohl recht.
Vielleicht ists wahr,
wird wenigstens das Gesicht nicht schief.
Trotzdem
achte ich die Wenigen
mit eingeschlagenem Kiefer.

Deutsch von Peter Kersche


Was soll ich tun
Ich schlug auf den Tisch,
ihr aber sagtet, es war zu laut.
Ich sprach ein offenes Wort,
ihr aber sagtet, es sei zu wahr.
Ich sagte euch, ich bin hier,
ihr aber sagtet, daß ich lüge.
Was soll ich noch tun?
Soll ich mich wieder für Jahrzehnte verkriechen,
mein Wort ersticken lassen und meinen Ursprung leugnen?
Oder soll ich gewähren,
daß man die Sprache mir völlig zerfetzt
und in den Boden stampft,
aus dem sie gewachsen?
Nein!
Hier bin ich und hier bleib' ich
als Keil zwischen euren messianischen Zielen!

Die Totgeglaubten. Bläschke 1977 [1978].

Der Berg
Schau,
dort am äußeren Rande.
Das ist mein Berg.
Auf diesen Berg
mit der grünen Lichtung
laden sie ein zur Erholung.
Dort ist die Luft
reich an Ozon,
dort steht die Sonne früh auf.
Auf diesem Berg herrscht selige Ruhe.

Siehst du,
von dort verlaufen
alle meine Spuren.
Aber man verwischt sie jeden Tag
(der Sauberkeit wegen
und des schöneren Ortsbildes).

Trotzdem
begab ich mich jeden Tag auf den Weg,
bis sie dann
eines Tages alle meine
geheimen Wege entdeckten.
Dieser Berg darf nicht mehr der meine sein.
Man entfernte . von ihm alle meine Sachen,
den Häusern und Äckern gaben sie andere Namen.

Dieser Berg
kommt jetzt jeden Tag
zu mir in die Einsamkeit
mit der Sonne im Schoß
und wünscht mir guten Tag.

Die Dornenblüte. Alekto 1989.

Ausdauer
Hier geschieht nichts mehr,
hier kann ich brüllen ins Tal,
von Ort zu Ort wandern
und es jahrein, jahraus so tun.

Hier ist jedes Hoffen sinnlos,
hier kann ich lebendig oder tot sein,
nein, hier werde ich nicht mehr wahrgenommen,
hier ist jeder Schritt bedeutungslos.

Und dennoch suche ich hier meinen Weg,
um in den Menschen mein Ego zu finden,
jeden Tag wandere ich hier vorbei,
damit die Leute mein Antlitz erkennen ...


Unglück
Das Wort
fiel mir aus dem Mund.
Schnell beugte ich mich,
um es aufzuheben.
Aber ich fiel,
ich fiel so ungeschickt,
daß ich mir dabei die Zunge brach.
Aber trotzdem bin ich glücklich, überglücklich,
denn ich fand mein verlorenes Wort.

Ich werde es
auf meinen blutenden Mund legen.
Mit wunder Zunge werde ich
es streicheln und es hüten,
damit es mir nie wieder auf den Boden fällt.

Die Dornenblüte. Alekto 1989.