Leseproben

AUS DER VERSPROCHENEN ewigen
Dauer der Nacht schlüpfe ich manchmal
in die sterbliche Hülle der
Schlüsselblume und lebe dort
als wachsender Augenblick.

Mit den Gesetzen des Frühlings
preise ich die jährliche Auferstehung.

Eingehüllt in das Wort
des gezahnten Blattes übersiedle
ich dann auf die Wiese der Windstille
und schlürfe dort den Morgentau.

So wechsle ich fast täglich
meinen Sterbensweg.

Deutsch vom Autor


ALS ICH über die Zeitschwelle
in den Schattenraum des Winters eintrat,
vereiste dort mein Atem.
In Eisblumen war nun der Tag eingehüllt.

Das Entfernen des Schattenbildes
über den Tagesrand der Hoffnungslosigkeit
war dann sehr mühsam.

Erst als die Schwalbe
über den Wendekreis des Frühlings
ihre Lebenslinie zog,
brach das Erstarrte entzwei.

Und aus der Erinnerung
an die Sonnenfinsternis im August
habe ich mein Haus gebaut.

Deutsch vom Autor

Der Schmetterling
Der Polizist nahm
den Schmetterling, der sich
irrtümlich auf sein Moped
gesetzt hatte, in Haft.
Er legte ihm Handschellen an
und führte ihn ab auf
das Kommissariat, um
seine allerwichtigsten Daten aufzunehmen.
Als er ihn befragte, warum
er sich auf sein Moped gesetzt habe
und ob er nicht wisse, dass
das strafbar sei und er
nach dem Paragrafen bestraft werde,
wandte sich der Schmetterling
der Sonne zu und flog
durch das Fenster, ohne sich
vom Polizisten zu verabschieden,
der wahrscheinlich die Sonne nicht so liebt,
wie er sie liebt.

Deutsch vom Autor

Mein Wort keimt auf als Bild/Moja beseda klije navzgor kakor slika. Wieser, 2005.
[url=http://www.wieser-verlag.com]http://www.wieser-verlag.com[/url]



* * * * *


MIT EISBLUMEN bedeckt
war meine Verlorenheit im Nebeltag.

Die Wortmitte ist ausgesiedelt
in den vom Nebel umhüllten Baum
und ist dort erstarrt.

Auch das Winken der Äste war wahrscheinlich
nur ein Spiel des Nebels, der
zwischen Werden und Vergehen
hin- und herpendelt und das
Erstarrte nicht duldet.

Oder war es eine Erzählung
des Winters?
Das vereiste Rundholz bin wohl nicht ich?

Deutsch vom Autor


AUS DER VERSPROCHENEN ewigen
Dauer der Nacht schlüpfe ich manchmal
in die sterbliche Hülle der
Schlüsselblume und lebe dort
als wachsender Augenblick.

Mit den Gesetzen des Frühlings
preise ich ihre jährliche Auferstehung.

Eingehüllt in das Wort
des gezahnten Blattes übersiedle
ich dann auf die Wiese der Windstille
und schlürfe dort den Morgentau.

So wechsle ich fast täglich
meinen Sterbensweg.

Deutsch vom Autor


BLEIASCHE, weggeblasen
vom Außenrand meines Herzens,
behindert nicht mehr
mein Atmen.

Der Rosenduft ist jetzt
mein Zwischenort.

Und wenn ich die Leichtlebigkeit
des Tages preise, zerstreue ich
den Geruch des Verwelkten und
klammere mich nicht mehr an der Erdmitte fest.

Auch aus der Vorzeit
geflochtene Dornenkrone vertrocknet,
zerbröselt und sticht nicht mehr.

Nur die neue Stummheit im Rosenstock
wartet noch auf ihre Erlösung.

Deutsch vom Autor

Pesmi/Gedichte/Poesiis. Braitan, 1998.

Als sichtbar wurde in der Birkenrinde
der Ruck der Zeit, kehrte ich
zurück zum Erdenwort.

»Werde dich immer in guter
Erinnerung behalten.«

Warum geben die Blätter
nie ihr Geheimnis preis, obwohl
ihr Ursprung offenbar ist?
Wahrscheinlich, weil sie nur
Zeichen des tagtäglichen Lichts sind.
Ihre Märchen sind eingeschlossen
in die Stämme, und der Wind antwortet obenhin.

Die Blätter sind die Liebe des Jahrs.
In ihren gelben Farben
finde ich mich selber wieder.

Deutsch von Peter Handke


HINTER DER ZEIT zerfällt die Angst.

Die täglichen Wege schrumpfen,
verlieren die Richtung
und werden erdig.
Der Lärm des ewigen Wachsens
füllt die Leere.

"Auch die Brombeeren
verlieren schon ihre Stacheln
und reifen über den Rand."

Unten bröckelt der Sandstein,
öffnet den Sehschlitz,
wächst bildwärts, hinauf,
hinterläßt Unterhautspuren
und dringt zeitweise vollends zum Herzen.

Der Regen wäscht dann
die Wunde bis auf den Grund.

Und so wird der Tag
beinahe wortlos.

Deutsch von Peter Handke


DER RAUCH ist verflogen.

Nur die Asche verdeckt
noch den Mittag.

Verschattet sind die Augen, und trotzdem
tötet der Blick nicht.
Deine Augen, sie zeugen vielmehr
vom befreiten Tag.

Der Fluß bleibt zurück, aber
seinem Rauschen lausche ich noch immer,
wenn es auch die erzwungene Ordnung
stört und dem Läuten widerspri<;ht
sogar bis zum Widerhall.

Der Abschied ist ein Ausgang
aus der Rauchkammer.

Der Klang aber wäre ein Weg
hin zum Buchsbaum.

Die Entscheidung reift in der Zeit.

Deutsch von Peter Handke

Mitten im Satz. Residenz Verlag, 1991.


* * * * *


Die Mauer meiner Kindheit
ist eingestürzt.

Jetzt wohne ich in der gläsernen Zelle.

An den Wänden die offenen Augen
der täglichen Gesichter,
im Spiegel mein Bilderbuch.

Durchsichtig auch
das Verborgene in mir.
Schattenfrei sogar
die Weite der begrenzten Zeit.

Kein Nest mehr ist mir mein Kleid,
aufgetrennt selbst das Himmelsgesetz,
und nichtig auch
der Windschutz unter der Kastanienkrone.

Auch der Schlamm ist ausgetrocknet.
Das Vergraben in künftige Tage
ist mir jetzt schwer.

Deutsch von Peter Handke


DAS TAGESLICHT erlischt sehr schnell,
wenn ich in den Nachtraum
meines Ich trete.

Das Suchen nach der verschütteten Seele
wiederholt sich.

Die Seitenwege spiegeln,
doch die Erzählung von der Freiheit des Zitronenfalters
erstarrt schon auf den Lippen.

Überschattet sind die suchenden Augen,
verblaßt die Farben an der Trostmauer,
verkrautet die Spiele der Tagträume.

Zweifel verdrängt
den Tanz der Sinne in mir.

Das Nichts dreht sich in die Gegenrichtung
des Uhrzeigers,
nistet zuzeiten sich ein als Ohnmacht.

Das Tagebuch füllt sich so
immer mehr mit Fragen nach Stetigkeit.

Die Zeitfallen aber werden
immer sichtbarer.

Deutsch von Peter Handke


HUNDEGEBELL hat mir
die Wortstille verletzt.

Einförmiger Schall
kreist mir jetzt den Schädel ein.

Mit meinem letzten Wort
übersiedle ich in das Astloch
des sterbenden Apfelbaums.

Das bellende Wort ist jetzt das Maß.

Oder ist es nur ein Schrei
der sonst so stummen Erde?

Eine Zeitlang bin auch ich
jetzt der Taube.

Deutsch von Peter Handke

Der Kreis ist jetzt mein Fenster. Residenz 1998.

Man hat mir gesagt
Wenn es dich friert und dich die Kälte schüttelt,
hat man mir gesagt,
dann mußt du dir Wollsocken anziehen, einen Mantel
und Handschuhe.
Wenn du krank bist und Grippe hast,
hat man mir gesagt,
dann mußt du dich ins Bett legen,
Tee trinken
und dreimal am Tag
Tabletten gegen das Fieber einnehmen.
Wenn du durstig und hungrig bist,
hat man mir gesagt,
dann mußt du Wurst, Speck
und Roggenbrot essen
und dazu Most oder Bier trinken.
Wenn du unglücklich und bedrückt bist,
hat man mir gesagt,
dann mußt du jammern, weinen
und dich schwarz anziehen.
Wenn du fröhlich bist,
hat man mir gesagt,
dann mußt du jauchzen und
Volkslieder singen.
Niemals aber hat man mir gesagt,
was ich anfangen soll,
wenn es mich nicht friert,
wenn ich nicht krank bin,
nicht hungrig und nicht durstig,
nicht unglücklich und
nicht fröhlich.

Deutsch von Peter Handke


AM WEISSEN TISCH
Am weißen Tisch,
neben der braunen Kastanie,
saßen wir zwei,
der Schmetterling und ich,
und bedachten ein jeder
seine Welt.
Wegflog der Schmetterling,
und ich blieb allein.
Mein Inneres überlagerte
den weißen Tisch,
im Gebet um Augenerblühen.

Deutsch von Peter Handke


ICH WOLLTE auf Wolkenjagd gehen,
doch bekam ich Traumstoff zu fassen.
Es störte mich ein Leuchten gelber Blumen.
Ich habe es gelöscht,
verlor den Gesichtssinn,
und sagte, augenloser Körper, ausdruckslos:
»Ich bin zwar schon ein bißchen kurzsichtig,
aber eine Brille brauche ich fürs erste noch nicht.«

Augenschimmer schwand,
mit den bloßen Händen heimste ich wüste Stille ein.
Voller Mond wandelte hinter den Wolken hin,
gnädige Finsternis, die
später aufkam,
blätterte im Gedächtnis
farbenreiche Tage auf.

Ruhelos die Geschäftsstraßen der Ameisen.

Aufkommender Wind zweiteilte
die Gräser
und streute hierhin und dorthin
in das frische Erdreich Nachrichten aus:
die Träume hätten Wirklichkeit
und Sinn verloren.

Tosend kehrte da das Leben zurück.

Deutsch von Peter Handke

Gedichte. Suhrkamp 1983.
[url=http://www.suhrkamp.de]http://www.suhrkamp.de[/url]



* * * * *


Distel, das offene Auge,
durchsticht mein Herz
aus der Steinzeit.
Die vermeintliche Fremde,
der Gegensatz, zerfällt.

Die Zäune, ehemals
Fluchthindernisse, modern schon,
sind nur noch Trennzeichen
und deshalb überschreitbar.

»Der Thymian wächst auch
schon dort auf der anderen Seite.«

Im Dickicht, im Netz,
endet das Gespräch,
und die Mittagsstille
wird Obdach.

Die Gottesanbeterin, die sich festhält
am Grashalm, beginnt
ein Gespräch aus dem Einst.
Ihr Atem ist Windstille,
ihre Zeit: um den Sommer herum.
Ihre Nähe
stummer Lobpreis dieser Zeit.

In den Abschied zurück kehrt die Liebe.

Deutsch von Peter Handke


IM WEISSEN Kalkstein
ist noch genügend Erinnerung.

Beim Zugang umgehe ich die Sperre,
widerspreche der Angst
und entscheide mich
für den verschobenen Sonnentag.

"Als ich den Stein wegwerfe,
reiße ich die Enge auf. "

Ich brauche die Wahrheit, die in den Tod eingegossene,
nicht mehr zu suchen.

In der Tag-für-Tag Aussaat
zeichnet sich klar die Ungeduld ab.
Ein Bogen belebt
das vertrocknete Blatt
mit dem künftigen Jahr.

Die Schnur reißt also nicht,
und das Ende wird alljährlich
von neuem umgepflügt.

Was fehlerhaft ist,
verliert die Sinne,
Einsicht, die überzeugt.

Eine Antwort finde ich dann
auch in der keimenden Gerste
und zweifle nicht mehr am Gesetz.

Deutsch von Peter Handke


MIT KAUM hörbarer Stimme
umschreibe ich mein verlorenes Ich,
umgrenze es,
zeige keine Furcht
und entgleite im Reifen
stimmlos der Erde in den Schoß.

Ein Zufluchtsort ist nämlich diese Erde,
indessen mein Blick ein Fluß ist,
welcher durch einen überwachsenen Garten fließt,
zum Sonnenuntergang hin.

Die Zeit, über den Hügel gedehnt,
schreitet voran,
doch ihr Schreiten ist zeitweise
kaum hörbar und deswegen
schwer zu beschreiben.

"Der Mond dagegen hat
schon vor einer Stunde die Form geändert
und sich ans Dunkel gewöhnt."

So werde auch ich
meine Ankunft erneuern.

Deutsch von Peter Handke

Wenn ich das Wort überschreite. Ko bom prekoračil besedo. Residenz Verlag, 1988.