Leseproben

Weiße Gladiolen

Täglich, sobald die Straße ins Schwarz taucht, betreten, deine Schritte sie.
Sie kommen immerzu zur gleichen Zeit mit allzu bekannter Stimme.
Ich ängstige mich vor ihnen.
Von Zeit zu Zeit liebe ich sie sogar.
Ich habe alle Nächte geliebt, in denen weiße Gladiolen ertönten. Sie haben des Zimmers Leere erfüllt und die Langweiligkeit der ausgedehnten Einsamkeit meiner Abende überschrieen.
Auch heute erwarte ich sie.
Der Schoß wird voller Gladiolen sein.
Groß und weiß werden sie sein.
Sie werden mitten ins Zimmer treten und sie mit wahnsinnigen Bewegungen herumwirbeln.
Auf den Tisch, die Stühle, die Wände, das Bett und den Boden.
Überall Gladiolen.
Zwischen sie wird man mich legen und mir nochmals sagen:
»Schön bist du nur unter weißen Gladiolen auf schwarzem Hintergrund.«
Deine Schritte kommen stets aus der Dunkelheit.
Sobald sie ihre Arbeit getan haben, setzen sie sich auf den Bettrand und blicken zufrieden auf die zerrissenen und zerdrückten Gladiolen.
Sie kommen den weißen Gladiolen auf schwarzem Hintergrund und meinem Körper zuliebe.
Jeden Abend bringen sie neue.
Ich aber bleibe mir gleich, unverändert.
Schön nur in der Dunkelheit, unter weißen Gladiolen.
Nie haben sie mich ohne sie geliebt, denn ohne Gladiolen gab es mich nicht und nicht meinen Körper.
So irre ich zwischen Weiße und Dunkelheit und vergesse das Leben draußen.
Ich habe es willkürlich vergessen, als ich sie das erstemal hörte.
Deine Schritte sind verrückt.
Sie machen selbst mich verrückt.
Sie töten mich.
Sie würgen meinen Körper und meine Gedanken.
Ich weiß um all das und kann mir nicht helfen.
Ich ängstige mich vor ihnen und hasse sie.
Hasse sie mit allen Atomen meines Körpers.
Ich möchte sie würgen mit all den mitgebrachten Gladiolen.
Nein, ich werde es nicht, weil ich sie, so ganz am Rande des Hasses, immer noch liebe.
Ich werde still sitzen in meinem verrückten Tun und voller Sehnsucht auf ihr Kommen warten.

Deutsch von Peter Kersche

Das slowenische Wort in Kärnten. Slovenska beseda na Koroškem. Österreichischer Bundesverlag 1985.