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„Wir müssen so leben wie die Astronauten – vielleicht sogar ohne alles, aber im All“ Stefan Feinig, Schriftsteller_Wien 8.4.2021

Lieber Stefan, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?

Recht überschaubar. Zurzeit werde ich um 6 Uhr früh von meiner Tochter geweckt (ein Jahr alt!). Sie wird von mir eine Zeit lang bespaßt (inklusive Essen). Je nachdem, wie meine Partnerin und ich uns die Erziehung zeitlich einteilen, kann das auch stark variieren. Wir sind beide gerade zu Hause bzw. arbeiten von zu Hause aus. In meiner „kinderfreien“ Zeit schreibe ich primär Beiträge für das Wiener Online Magazin WARDA. Wenn es sich ausgeht, arbeite ich an einem neuen literarischen Text. Wenn es sich ausgeht…

Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?

Hm… Ich suche gerade nach passenden Schlagworten. Dann nach einem grandiosen Zitat. Mir fällt keines ein! Ich vermute einmal, dass es einstimmig für alle wichtig ist, (so erscheint mir das zumindest), dass der Lockdown endlich vorbei ist und das Problem „Corona“ endlich gelöst ist. Doch glaube ich, dass, nachdem dieses Problem gelöst sein wird, andere wichtige Themen auf uns zukommen werden. Es hat sich ja aufgrund von Corona sehr vieles verändert und ich habe so das Gefühl, dass es „danach“ nicht mehr wirklich so sein wird wie „davor“ – vor allem in der Arbeitswelt (u.a. Thema Homeoffice etc.). Man darf nur gespannt sein, was die Zukunft noch so bringt… „Sicherheit“, jetzt ist mir so ein Wort doch noch eingefallen, mit dem jeder und jede etwas anfangen kann. Was für ein tolles Wort! Das finden wir alle bestimmt besonders wichtig, das Gefühl von Sicherheit. Schon ein starkes Wort, in einer Welt in der vieles so unsicher geworden ist.

Vor einem Aufbruch werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei der Literatur, der Kunst an sich zu?

Das ist eine sehr schwierige Frage. Vor allem das Wort „Aufbruch“ wirkt so groß und gut und so positiv besetzt. Zurzeit wirkt es eher so, als versuche die Welt nicht im Chaos zu versinken. Niemand scheint so recht zu wissen, in welche Richtung es gehen wird. Vom Globalen zum Regionalen? Oder dann doch, sobald das Reisen wieder möglich ist, die exzessive Aufsuchung des Fernen, einfach nur aus Prinzip, weil man es wieder kann und etwas kompensieren muss oder weil die Flugtickets so katastrophal billig sein werden. Ich glaube nicht, dass die Menschheit „danach“ auf einmal besinnt sein wird. Ich glaube nicht, dass das ein „Aufbruch“ ist. Die Dinge werden sich nur ändern, haben sich schon geändert. Die Menschen werden jedoch versuchen, das Alte wieder heraufzubeschwören, das „davor“. Doch ist es zurzeit nicht absehbar, ob es dieses „davor“ jemals wieder so geben wird können. Das Gefühl der Angst scheint sich festgesetzt zu haben. Es ist natürlich genau das, was die Menschen mit Einfluss auch bewirken wollten. Angst. Wesentlich wird sein, sich eben nicht von Angst oder anderen Emotionen leiten zu lassen und aus diesen heraus die falschen Entscheidungen zu treffen.

Naja… Und die Kunst? Ich kann dazu nicht wirklich viel sagen. Kunst ist für mich einfach alles! Doch scheint mir das eine Minderheitenmeinung zu sein. Wie wichtig Kunst wirklich ist, scheinen nur Menschen nachvollziehen zu können, die selbst künstlerisch tätig sind oder in deren Welt Kunst relevant ist. Ich fürchte fast, dass Kunst nicht wirklich eine Rolle spielen wird. Was schade ist.

Was liest Du derzeit?

Ich lese immer mehrere Sachen gleichzeitig. Was mich gerade in seinen Bann zieht, ist ein Buch über Bruegel – seine Bilder, vor allem aber die Ideen hinter seinen Werken, finde ich sehr anregend. Dann lese ich „Der Honigverkäufer im Palastgarten und das Auditorium Maximum“ von Peter Waterhouse. Waterhouse schafft es, meiner Meinung nach, wie sonst keine/r, der oder die mir bekannt ist, Räume zu öffnen und Klangwelten entstehen zu lassen. Dann lese ich auch einiges vom slowenischen Autoren Ludvik Mrzel. Die Beobachtungen in seiner Kurzprosa aus den 1930er Jahren finde ich sehr aktuell.

Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest Du uns mitgeben?

Vielleicht eine lustige Passage aus „Der Honigverkäufer…“ , die meiner Meinung nach gerade sehr passend ist, da sich gerade alles sehr um Geld dreht, wie eigentlich immer schon. Doch gerade jetzt sehr erschreckend – vor allem wenn man den Kauf billiger Impfungen bedenkt. Es wird eigentlich oft an den falschen Enden gespart. Wie dem auch sei, hier ein Zitat von Waterhouse:

„Wir müssen so leben wie die Astronauten – ohne Geld. Die Raketentechnik und die Raumkapseln und Raumstationen und die Satelliten mögen ja teuer sein, doch die Astronauten leben in den Stationen ohne Geld, vielleicht sogar ohne alles, aber im All.“

Vielen Dank für das Interview lieber Stefan, viel Freude weiterhin für Deine großartigen Literaturprojekte und persönlich in diesen Tagen alles Gute!

13.3.2021_Interview_Walter Pobaschnig. Das Interview wurde online geführt.
[url=https://literaturoutdoors.com/2021/04/08/wir-mussen-so-leben-wie-die-astronauten-vielleicht-sogar-ohne-alles-aber-im-all-stefan-feinig-schriftsteller_wien-8-4-2021/?fbclid=IwAR2rijl_j2NfSlGZRWptpKh5zs2aTW234c3Bh5vtVepCBR2K91O-QdM_Tu8]https://literaturoutdoors.com/2021/04/08/wir-mussen-so-leben-wie-die-astronauten-vielleicht-sogar-ohne-alles-aber-im-all-stefan-feinig-schriftsteller_wien-8-4-2021/?fbclid=IwAR2rijl_j2NfSlGZRWptpKh5zs2aTW234c3Bh5vtVepCBR2K91O-QdM_Tu8[/url] (08.04.2021)



„Mit Poesie den Blick erweitern"

In seinem neuen Buch „374“ beschreibt der Kärntner Schriftsteller Stefan Feinig Momente im Leben eines Arbeitslosen und übt dabei scharfe Kritik an Gesellschaft und System.

Stefan Feinig bewegen die Schicksale von Menschen, für die die Gesellschaft keinen Blick übrig hat. Seine Geschichten handeln von Tellerwäschern – oder, wie in seinem neuen Buch „374“. Von einem Arbeitslosen. In deutscher und slowenischer Sprache verfasst, übt der Kärntner Schriftsteller in seinem Poem schonungslose Kritik an der Gesellschaft und am System.

Packende Milieustudie
Der Schauplatz von „374“ ist der Wartesaal des Arbeitsamtes. Auf 120 Seiten erzählt Feinig in seinem zweisprachigen Poem die Geschichte eines „AMS-Kunden“, wie sie derzeit von vielen erlebt wird. „In dem Poem geh es um Frustration, Versagen, Ausweglosigkeit und Warten. Warten, bis man aufgerufen wird. Warten in einer surrealen Welt, in der man nur eine Nummer ist: die Nummer ‚374‘. Wie bedrückend das Existenzielle ist, merkt man in der Warteschlange. Enttäuschte Hoffnungen, das Ringen um Jobs, um Geld und um einen Platz in der Gesellschaft“, beschreibt Feinig den Inhalt seines Buches.

Den Blick erweitern
Für sein Schreiben erhielt Feinig schon mehrere Auszeichnungen, darunter den Förderungspreis des Landes Kärnten für Literatur. In seinen Werken möchte der 33-Jährige seinen Lesern einen neuen Blick auf die Welt geben: „Meine Idee ist, mit meinen Geschichten den Lesenden eine andere Perspektive zu bieten. All das, wofür die Gesellschaft keinen Blick hat und keine Sprache – solche Phänomene interessieren mich einfach und ich finde es extrem wichtig, zu begreifen, dass, wenn man seinen Blick erweitert, alles irgendwie zusammenhängt, weil unser Sehen dann eben größer ist.“

Ein Rosentaler in Wien
Feinig wurde 1987 in Klagenfurt geboren und wuchs in Suetschach im Rosental auf. Heute lebt er mit Lebengefährtin und Kind in Wien und arbeitet hauptberuflich als Online-Redakteur. Zu seinem Werdegang als Schriftsteller meint er: „Schon von klein auf interessierte ich mich für die Geschichten, vor allem dafür, wie diese erzählt wurden. Die Welt auf eine bestimmte Weise Wahrzunehmen, das macht uns reich und erfüllt uns oder auch nicht. Kommt darauf an, wie man es sieht. Wenn man die Welt auf eine bestimmte Art beschreibt, dann bereichert das irgendwie das eigene Leben. Man bekommt einen Blick dafür – für die Welt.“

Sabine Rauscher in KLAGENFURTER Ausgabe Nr. 4/2021/ 30./31. März 2021 S. 74


"Neues Buch: Gefühle in der Arbeitslosigkeit"

Der Kärntner Autor Stefan Feinig verarbeitet in seinem Buch „374“ eigene Erfahrungen mit Arbeitslosigkeit, mit dem Gefühl, die Nummer zu sein, die man am Arbeitsamt zieht. Die Sprache ist oft deftig, wenn er darüber nachdenkt, wie Selbstwert mit Arbeit zusammenhängt und wie man sich neu definieren muss.

Im Poem 374, einer lyrischen Schilderung, heißt es: "Am Anfang muss man erst einmal eine Nummer ziehen. Eine Nummer. Aus einer kleinen elektronischen Plastikschachtel an der Wand neben dem Eingang muss man erst einmal eine Nummer ziehen. Eine Nummer. Kaum zu glauben, ich bin eine Nummer, weiter nichts, eine beschissene Nummer.
Eine Nummer, nicht mehr, so sieht sich der Mensch, der auf dem Arbeitsamt steht. Es sind Sätze, die unter die Haut gehen: „Wir sind arbeitslos. Und vermutlich ist das die gefährlichste Störung, an der man so leiden kann.“ Der Titel des Buches spricht schon Bände: „374“ wie die Nummer auf dem Arbeitsamt.

Trotz mehrerer Abschlüsse arbeitslos
Frustration, Angstzustände und Wut artikuliert Feinig in seinem Buch. Arbeitslosigkeit führt zu einem großen Gefühl der Ohnmacht und der Abhängigkeit von einem System, das den Betroffenen helfen soll. Feinig versucht immer noch, diplomatisch zu sein, auch wenn er von seinen eigenen Erfahrungen mit der Arbeitslosigkeit erzählt. Der Schriftsteller ist Geisteswissenschaftler mit mehreren Abschlüssen. Er arbeitete schon in den verschiedensten Brotjobs.
Der Lockdown machte alles noch einmal viel schlimmer: „Es war immer so ein Selbstverständnis, dass die schlechter bezahlten Jobs für mich problemlos erreichbar sind, vor allem auch in der Gastronomie, was ich immer gemacht habe. Diese Selbstverständlichkeit dieser Jobs fällt jetzt weg. Es ist schwierig in der Gastronomie. Ich wurde im März gekündigt und bin die ganze Zeit konsequent auf der Suche. Es ist nichts da draußen.“

Kritik am System
Feinig geht die eigene Arbeitslosigkeit an die Substanz. Er versucht alles nur Mögliche, um wieder Arbeit zu finden. Mit dem neuen Buch will er aber nicht erreichen, dass er als Repräsentant für gescheiterte Existenzen angesehen wird. Dass sein Poem dem AMS, aber auch der österreichischen Gesellschaft gegenüber kritisch ist, versteht sich von selbst: „Sehr interessant ist auch, dass man Tage vor dem AMS-Termin das Gefühl hat, man muss dort etwas bringen, etwas zeigen oder beweisen, sonst nehmen sie einem das Geld weg. Die Leute waren meistens zwar nett, aber man ist so aufgewühlt.“ Es gehe auch um Selbstwert, so Feinig. Menschen definieren sich über Jobs und wenn das wegfalle, ist die Frage, wo bekommt man den Selbstwert her.

Wie definiert sich Selbstwert?
Feinig stammt aus Suetschach. Der Schriftsteller lebt aber schon seit vielen Jahren in Wien. Zuletzt wurde er mit dem Förderpreis für Literatur des Landes Kärnten ausgezeichnet. Er sagte, er wolle sich nicht als verkanntes Genie oder als jammernden Kunsttyp darstellen. Es sei als Autor ziemlich schwierig, davon leben zu können.
Dass sich der Arbeitsmarkt durch die Technologisierung und Digitalisierung nachhaltig verändert, ist Feinig auch klar. Immer weniger Menschen werden gebraucht, um alles am Laufen zu halten. Damit wird dann auch die Frage „wie definiere ich meinen Selbstwert“ noch einmal neu gestellt.

Vom Gefühl des Versagens
Der Mensch im Buch steht auf dem Arbeitsamt und hat das Gefühl, nichts mehr wert zu sein, versagt zu haben. Dazu kommt noch all das, was man an Werten innerhalb der Familie gelernt hat. In dem Poem 374 ging es dem Dichter darum, wie in der Arbeitslosigkeit mit Gefühlen wie Frust umgegangen wird und wie sie artikuliert werden: „Was ich vermeiden will ist, dass ich einer bin, der sich aufregt.“ Man sehe später, was man hätte anderes machen können. Die Herkunft aus der Arbeiterklasse sei ihm karrieretechnisch in die Quere gekommen.
Schreiben war für Feinig eine Möglichkeit, mit dem Gefühl der Ohnmacht produktiv umzugehen. Die Sprache, die er dabei verwendet, ist immer wieder deftig. Es gibt ja auch nichts zu beschönigen. Am Anfang des Buches steht ein Zitat von Alain Badiou: „Entwerfen wir die poetische Nacktheit der Gegenwart.“ Besonders hart ist die Konkurrenz, wenn es darum geht, wer einen Job bekommt. Von denen, die es schaffen, ist viel öfter die Rede als von all den anderen, die noch immer arbeitslos sind.

Leser sollen mehr über Gefühle nachdenken
Stefan Feinig würde sich wünschen, dass die Leserinnen und Leser mehr über ihre Gefühle nachdenken, sie mehr reflektieren: „Es hat einen aggressiven Ton und ist knallhart. Ich hoffe nicht, dass es den Frust der Menschen steigert. Vielleicht will ich zuviel, vielleicht wird das Gegenteil bewirkt. Ich meine aber, dass es ein versöhnliches Ende hat, ein sehr ergreifendes Ende.“ Zitat; „Ich bin nichts weiter als ein Seelenkrüppel, das ist alles. Ein emotional gelähmtes Arschloch, das nicht in der Lage ist, einen Moment der wahren Empfindung zu entwickeln. Es geht einfach nicht. Das einzige, was ich zustande bringe, ist, dass ich die Hand auf seine Schulter lege, während er weiter weint, und sein massiger Körper auf und ab wippt.“
„374“ ist eine zweisprachige Ausgabe, links steht der deutsche Text, rechts der slowenische. Aus dem Slowenischen übersetzte Feinig selbst. Erschienen im Hermagoras/Mohorjeva Verlag.
red, kaernten.ORF.at

Michaela Monschein, [url=https://kaernten.orf.at/stories/3092045/]https://kaernten.orf.at/stories/3092045/[/url] (10.03.2021)